
Wolfram Aichinger u. Sabrina Grohsebner
Childbirth in Early Modern Spain
[agora. Wiener philologisch-kulturwissenschaftliche Studien | Vienna Philological and Cultural Studies; 3]
DE: Könnten wir in ein Bild Brueghels – oder Murillos – hineintreten und teilhaben am geordneten Durcheinander des Lebens der Frühen Neuzeit, dann wäre Geburt allgegenwärtig: wir hörten Bettler Sprüche und Gebete für gute Geburt oder gegen Unfruchtbarkeit anpreisen; wir sähen eine Magd nach einer Hebamme laufen, und Frauen, die Geschenke – Geflügel, Wein, eine Rose von Jericho – zu einer Wöchnerin trügen; wir kämen an der Drehlade vorbei, in der jede Nacht Neugeborene abgelegt würden. Und allzu oft hörten wir die Klagen von Müttern, die ein früh verstorbenes Kleinkind ins Grab legten. Den Rhythmus des Lebens gäben Schwangerschaften, Geburten, Taufen vor, und die Messen für Frauen, die nach vierzig Tagen das Kindbett verließen. Weibliche Zyklen folgten den Zyklen des Mondes; den Kreislauf der Jahre begleiteten Bilder eines Mädchens, dem jungfräuliche Geburt von einem Engel verkündigt wird; einer Frau, die ein Kind in einem Stall gebiert. Glocken hörten wir nicht nur nach dem Takt der Stunden läuten, sondern ganze Tage und Nächte, um die Geburt von Königskindern zu feiern. – Geburt war wie heute Sache von Geburtshelfern, aber es war vor allem ein geheiligter Moment im Leben der Gemeinschaft.
Die Stimmen der Hebammen, Ärzte, Juristen, Theaterdichter, Nonnen und selig Gesprochenen, der Notare, Mütter, Väter und Großeltern, die hier versammelt sind, berichten von einer Welt, in der Schwangerschaft, Geburt und früheste Kindheit vielfältig mit Religion, Kultur und den Spielregeln der Gemeinschaft verknüpft waren. Indem wir Geburt studieren, können wir so dem Bild der Vergangenheit neue Farben hinzufügen, eine Zeit besser begreifen, in der die Geburt eines Kindes immer wieder über den Verlust eines anderen tröstete, in der Gebären ein Aufbäumen gegen die Triumphe des Todes war.
EN: If we could step into one of Murillo’s paintings and join in the hurly-burly of life in Golden Age Spain, childbirth would be all around us: we would hear beggars peddling spells and prayers for a safe delivery; we would see a maid running to fetch a midwife and women carrying gifts to a neighbor in childbed; we would pass the door of the foundling home where newborns were deposited every night. And all too often we would hear the lamentations of mothers laying a prematurely deceased infant in its grave. The rhythm of life was set by pregnancies, births, and baptisms.
And if we asked people which sacred images they loved and venerated most, the likely answer would be those depicting Mary as a pregnant woman and as a mother. Childbirth demanded care and resources – as it does today – but it was also a foundational and a sacred moment in the life of a community.
The voices of the midwives, doctors, lawyers, playwrights, nuns, parents and grandparents gathered here, tell of a world in which the carrying, bearing and caring for infants was woven together with religion, culture and the rules governing family bonds.
A close study of childbirth, then, can add new colors to the painting of the past. It can help us better understand a time when the birth of one child was often a consolation for the loss of another, when every birth was an act of rebellion against the triumphs of death.
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